Chronische Schmerzen:

die 6 wichtigsten Fakten zum Abbau chronischer Schmerzen

Stand 08.05.2021

„Die Schmerzen in ihrem linken Knie sind altersbedingt.“

„Kann nicht sein. Mein rechtes Knie ist genauso alt und tut nicht weh.“

Die meisten momentan gängigen Schmerztherapien fußen auf veralteten Annahmen.

Darum schlagen viele Therapien nicht an.

Aus aktuellen Erkenntnissen über Schmerzverarbeitung ergeben sich wirksame, neue Strategien.

Die wir selbstständig zuhause umsetzen können.

Jedoch nur, wenn wir verstehen, was bei Schmerzen in unserem Gehirn vor sich geht.

In diesem Artikel erfährst Du

Was ist Schmerz und warum fühlen wir ihn?

Die Antwort auf diese Frage hat sich in den letzten 10 Jahren dramatisch geändert.

Denn – wir können Gehirne in der Zwischenzeit besser durchleuchten.

Um Chronische Schmerzen abzubauen, müssen wir unser Gehirn neu trainieren Dies gibt uns Infos darüber, wie unser Hirn Schmerzen verarbeitet.

Warum Schmerzen bisweilen chronisch werden.

Und wie wir diesen Prozess rückgängig machen können.

Leider dauert es lange bis solche neuen, wichtigen Erkenntnisse sich in unserem Gesundheits- und Bildungssystem durchsetzen.

Im Durschnitt 17 Jahre.

Vieles, das wir früher über Schmerz glaubten, ist überholt.

Wie Schmerz tasächlich funktioniert und wie Du binnen weniger Monate überraschende Fortschritte erzielst, erfährst Du in den nächsten beiden Kapiteln.

Die 6 wichtigsten Fakten zum Abbau chronischer Schmerzen

Das Wissen um Schmerzentstehung und -verarbeitung ist so mächtig, dass die Aufklärung darüber eine medizinisch anerkannte Form der Behandlung darstellt.

Im englischsprachigen Raum nennt man diese “therapeutic neuroscience education” oder TNE. Eine gehobener Ausdruck dafür, dass wir mehr über Schmerzverarbeitung lernen.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass diese Aufklärung körperliche Symptome mindert.

Unser Nervensystem beruhigt. Angst reduziert. Und unsere Bewegungsfähigkeit verbessert.

Bereits während Du die folgenden Fakten über Schmerz liest, stößt Du diesen Prozess an.

Mit jeder Information gelingt es Dir leichter, chronische Schmerzen zu reduzieren.

Kommen wir also zum zweiten Fakt über Schmerz:

Evolutionär gesehen hilft uns Schmerz zu überleben.

Er erlaubt uns, mehr über unsere Umwelt zu lernen und besser zu vermeiden, was uns schaden könnte.

Schmerz signalisiert uns zum Beispiel, wann wir zu nah am Feuer hocken. Lehrt uns, Glasscherben nur vorsichtig aufzuheben.

Bringt uns dazu, es ruhig angehen zu lassen, wenn Gewebe beschädigt ist und eine Pause braucht um zu heilen.

Ein paar wenige Menschen auf dieser Welt sind unfähig Schmerz zu empfinden.

Was häufig mit einer kurzen Lebenserwartung einhergeht.

Wen überrascht’s?

Ohne Schmerz als Signal bekommen wir von vielen Gefahren nichts mit.

Schmerz soll uns also schützen.

Deshalb tut eine Verletzung normalerweise weh.

In einigen Szenarien jedoch können Schmerzen unterdrückt werden, selbst wenn eine Verletzung vorliegt.

In anderen treten Schmerzen auf, obwohl alles intakt ist.

Dieses Mysterium bringt uns zur dritten Erkenntnis

Alte Schmerzmodelle gehen davon aus, dass Schmerz nur durch Gewebeschädigung verursacht wird.

In den letzten Jahrzehnten erwiesen sich diese Modelle als falsch.

Wir wissen nun, dass Gewebeschädigung nur einer von vielen Faktoren ist, die beeinflussen, wie viel Schmerz wir in einem bestimmten Moment empfinden.

Und tatsächlich einer der am wenigsten einflussreichen Faktoren.

Beispiel: Stell Dir vor, Du sitzt mit verstauchtem Knöchel auf der Couch.
Du versuchst aufzustehen. Sobald jedoch Dein Fuß den Boden berührt, spürst Du einen stechenden Schmerz.

Bis die Couch plötzlich Feuer fängt.

Wenn Du nun aufspringst, zum Feuerlöscher rennst oder die Flammen mit einer Decke erstickst spürst Du erstmal garkeinen Schmerz.

Erst danach, wenn die akute Gefahr gebannt ist, beginnt der Knöchel wieder zu schmerzen.

In beiden Szenarien liegt dieselbe Verletzung vor. Unser Schmerzsystem jedoch reagiert drastisch verschieden.

Wie kann das sein?

Unser Schmerzsystem ist so hoch entwickelt, dass alle für uns wichtigen Informationen berücksichtigt werden. Je nach aktueller Gefahrenlage entscheidet sich, ob Schmerzen erzeugt werden oder nicht.

Dies funktioniert, da unser Schmerzsystem auf dem fortschrittlichsten Computer läuft, den wir kennen: unserem Gehirn.

Dies bringt uns zur vierten Tatsache:

Schmerz wird nicht dort verarbeitet, wo wir ihn fühlen, sondern in unserem Gehirn und Nervensystem.

Dies gilt für jede Art von Schmerz. Egal ob es sich um einen schmerzenden Rücken, eine Migräne oder ein gebrochenes Bein handelt.

Selbst wenn der Schmerz durch Gewebeschäden ausgelöst wird, kommt die Schmerzreaktion nicht vom Gewebe selbst, sondern vom Nervensystem.

Das heißt, unser Nervensystem kann zwar Informationen von Schmerzrezeptoren im Gewebe unser Körpers erhalten. Den Nozizeptoren.

Die von solchen Schmerzrezeptoren stammende Information ist jedoch nur einer von vielen Faktoren, die unser Gehirn berücksichtigt, wenn es entscheidet, wie viel Schmerz wo und wie lange produziert werden soll.

Schmerz existiert erst, wenn unser Hirn es befiehlt.

Beispiel: Unser Arm ist gebrochen und in diesem Bereich spüren wir auch den Schmerz.
Es scheint logisch, dass der Schmerz direkt im verletzten Arm entsteht. Stimmt aber nicht.
Nozizeptoren im Arm machten unser Gehirn darauf aufmerksam, dass eine potenzielle Bedrohung besteht.
Daraufhin entschied unser Hirn, wie viel Schmerz erzeugt werden sollte, um uns vor dieser Bedrohung zu schützen.
Erst dann, Nanosekunden später, begann der Arm zu schmerzen.

Das Gleiche gilt für alle Arten von Schmerz.

Unabhängig davon, ob sie mit einer Gewebeschädigung einhergehen oder nicht.

Unser Hirn erzeugt Schmerz um uns vor allen möglichen Bedrohungen zu schützen.

Nicht nur körperlichen Verletzungen.

Egal um welche Art von Bedrohung es sich handelt oder in welcher Form sich das Symptom zeigt – es ist immer unser Hirn, das das Sagen hat und entscheidet, welche Menge an Schmerz uns in diesem Moment am besten schützt.

Soll das heißen, wir bilden uns Schmerzen und Symptome nur ein?

Nope! Jeder Schmerz ist gleichermaßen real.

Alle Arten von Schmerz werden im Gehirn erzeugt.

Diese Erkenntnis hilft zu verstehen, warum Menschen ohne Gewebeschäden ebenso schwere Symptome haben können.

Während wir Schmerz also an jeder beliebigen Stelle unseres Körpers spüren können, liegt die Entscheidung, ihn zu erzeugen stets bei unserem Hirn.

Wie wir bereits wissen, werden in unserem Gehirn zeitgleich auch alle unsere psychosozialen Informationen verarbeitet.

Was in unserem Leben gerade vor sich geht und wie wir es bewerten.

Dies zu verstehen ist entscheidend.

Erst wenn wir verstanden haben, wie unser Hirn seine Entscheidung trifft, können wir beginnen, das Ergebnis zu beeinflussen.

Unsere Schmerzsymptome reduzieren.

Dies bringt uns zum fünften Fakt über Schmerz:

Genauer gesagt ist es die Meinung unseres Gehirns dazu, wieviel Schmerz wir in genau diesem Moment empfinden sollten um zu überleben und gut geschützt zu sein.

Unser Hirn bildet diese Meinung, indem es eine ganze Reihe von Fragen beantwortet.

Es beurteilt nicht nur, ob eine Gewebeschädigung vorliegt und erzeugt Schmerzen auf Basis allein dieser Information.

Es richtet sich auch danach, ob wir uns gerade auf diese Bedrohung konzentrieren sollten. Wie sehr wir Schmerz fürchten. Wie gut unser Körper in der Lage ist, sich selbst zu heilen. Was es uns kosten könnte, jetzt mit diesem Schmerz umzugehen. Und vieles mehr.

Für den Moment genügt es, uns einzuprägen:

Schmerz ist die Meinung unseres Hirns – und diese Meinung spiegelt nicht immer die Realität wider.

Unser Gehirn kann entscheiden, dass wir geschützt werden müssen. Auch wenn dies gerade nicht nötig ist. Unser Gehirn kann ebenso entscheiden, dass wir uns in großer Gefahr befinden. Obwohl dies nicht der Fall ist.

Wie wir bereits am Beispiel der brennenden Couch sahen, kann unser Gehirn auch entscheiden, dass Schmerz nicht die beste Überlebensstrategie ist. Selbst wenn unser Körper bei der Flucht weiter geschädigt wird.

Unser Hirn bildet sich also immer sein eigenes Urteil darüber, worauf es seiner Meinung nach achten muss.

Beispiel:

Ein Glas zerschellt.
Du trittst in ein Scherbe.
Einen Freund jedoch trifft’s nahe der Halsschlagader.
Du rennst los, suchst Verbandszeug. Rettest ihn.
Erst als er in Sicherheit ist, bemerkst Du den häßlichen Schnitt an Deiner Fußsohle. Der gleich darauf höllisch schmerzt.

Wie und in welchem Maß unser Nervensystem Schmerzen erzeugt oder darauf reagiert, ist bei Jedem von uns einzigartig. Und kann sich im Laufe der Zeit ändern.

Unser Gehirn und Nervensystem lernen dabei durch Erfahrung.

Wie sie reagieren, richtet sich danach, was wir angesichts eines Geschehnisses denken, fürchten oder fühlen.

Hirn und Nervensystem reagieren also auf unsere Bewertung eines Geschehnisses.

Vereinfacht gesagt: Wir empfinden Schmerz intensiver sobald wir uns fürchten oder schämen. Und ertragen eine vergleichbare Verletzung leichter, wenn wir sie als nützlich oder ehrenvoll erachten.

Beispiel:
Wenn Du davon überzeugt bist, dass Kälte Dein Immunsystem stärkt, empfindest Du Eiswasser als erträglich.
Anders wenn Du fürchtest, Dir dadurch eine Lungenentzündung zuzuziehen.

Unser Hirn kann den Mechanismus Schmerz sogar nutzen, um uns von inneren Konflikten abzulenken, welche unser Selbstbild bedrohen.

Beispiel:
Mein ideales Selbstbild ist das einer immer liebenden Mutter.
Ich bin hundemüde. Doch mein Sohn wird nachts ständig wach und ruft nach mir.
Ich bin wütend, dass er mich aus dem Schlaf reißt. Unterdrücke dies jedoch. Denn Wut empfinden bedroht mein Selbstbild der guten, immer nur liebenden Mutter. Identitätskrise. Mein Hirn könnte nun entscheiden, mich mittels Schmerz von diesem bedrohlich selbst(bild)~zerstörerischen Konflikt abzulenken.

So konfigurieren unsere Überzeugungen und sozialen Prägungen die Grundeinstellung dessen, wie unser Hirn und Nervensystem den Mechanismus Schmerz einsetzt. (2)

Wenn wir unter chronischen Schmerzen leiden, rührt dies häufig daher, dass unser Nervensystem eine zu feine -überbeschützende- Einstellung erlernt hat.

Was bedeutet, dass es im Laufe der Zeit zunehmend schmerzhaftere Reaktionen auf vergleichsweise normale Belastungen und Reize hervorruft.

Die Beweise hierfür stammen direkt aus Gehirnscans von Menschen mit chronischen Schmerzen. Diese enthüllen Veränderungen der Gehirnstruktur ebenso wie der Funktion. (3)

Das Gute daran: Jetzt wo wir sehen können, welche Veränderungen im Gehirn stattfinden, wenn Schmerz chronisch wird, können wir diesen Prozess aktiv umkehren.

Dies bringt uns zu guten Nachrichten und unserem sechsten großen Fortschritt beim Verständnis von Schmerz.

Selbst wenn physische Faktoren (körperliche Verletzungen) vorhanden sind, sind sie nur ein kleiner Teil dessen, was in die Meinung unseres Gehirns einfließt.

In den meisten Fällen chronischer Schmerzen, selbst denjenigen, die mit einer Verletzung, Operation oder anderer Gewebeschädigung begannen, ist der Beitrag der körperlichen Komponente zur gesamten Schmerzerfahrung ziemlich gering.

Führende Neurowissenschaftler, Ärzte, Physiotherapeuten und Heilpraktiker beginnen, Schmerz durch diese biopsychosoziale Linse zu betrachten.

Eine Sichtweise, die ALLE Kontextfaktoren berücksichtigt, nicht nur die physischen Veränderungen im Körper.

Die biopsychosoziale Linse ist ein relativ junges Modell.

Der größte Teil der Medizin im 20. Jahrhundert basierte auf dem Descartes-Modell. Einem sehr linearen Denkansatz: Ein Problem lässt sich auf eine einzige Ursache zurückführen.

Dies führte zu übermäßigen Entwicklung und Anwendung bildgebender Verfahren.

Wir durchleuchten also einfach den Mensch. Sobald auf dem Bild etwas auftaucht, das von der Norm abweicht, gehen wir davon aus, dass dies das Problem ist. Schneiden es heraus, verbrennen es oder injizieren etwas dagegen.

Dies ist ein sehr altes Krankheits- & Schmerzmodell, das viele Ärzte bis heute verfolgen. Besonders bei muskuloskelettalen Beschwerden.

Ein biopsychosoziales Modell hingegen berücksichtigt unsere biologischen und psychologischen Abläufe sowie die sozialen Rahmenbedingungen.

Die biopsychosoziale Linse erklärt, wie ähnliche Verletzungen bei Menschen mit unterschiedlichem Umfeld und Innnenleben zu komplett verschiedenen Resultaten führen können.

Je nach unseren Vorerfahrungen und dem, was gerade in unserem Leben geschieht unterscheidet sich unsere Fähigkeit, dem entsprechenden Trauma zu widerstehen.

Wenn wir es gerade nur mit Ach und Krach von Tag zu Tag schaffen, bringt bisweilen ein einziges weiteres Geschehnis das Fass zum überlaufen.

Überschreitet, was wir körperlich und seelisch momentan verkraften. Wodurch ein Zustand sich chronifizieren kann.

Das biopsychosoziale Modell umfasst also all das, was unser Menschsein ausmacht.

Wenn wir Schmerzen leiden, lohnt es sich daher, wirklich alle diese Faktoren zu berücksichtigen.

Nicht nur das, was rein mechanisch an Gewebeschäden vorliegt.

Wie schaue ich durch die biopsychosoziale Linse?

Woher weiß ich, inwieweit meine Beschwerden von Emotionen oder Stress verursacht werden?

Hier findest Du einen Fragebogen zur Selbsteinschätzung

Wir können unser Hirn jederzeit neu programmieren

Unser Gehirn bleibt unser ganzes Leben lang formbar.

Es verändert sich, wenn Schmerzen chronisch werden.

Und viele dieser Veränderungen können wir selbst rückgängig machen. Teilweise vollständig.

Indem wir einige der Faktoren ändern, die unser Nervensystem dazu verleiteten überempfindlich zu reagieren.

Auf diese Weise können wir verringern, wie häufig oder intensiv es eine Schmerzreaktion auslöst.

Klappt das wirklich?

Probier’s aus!

Hier findest Du die einfachste Technik zur Reduktion chronischer Schmerzen.